
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung und Immobilienklima
Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird jedes Jahr vom Immobilienweisen Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld im Rahmen des Frühjahrsgutachtens eingeschätzt und auf die Immobilienwirtschaft bezogen. Lesen Sie hier die Zusammenfassung für die Ausgabe 2023.
Im Jahr 2022 ist in Deutschland die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im dritten Quartal 2022 mit plus 1,8% erstmals wieder über das Vor-Corona-Niveau des Jahres 2019 gestiegen. Einzig im vierten Quartal fiel das Wachstum mit -0,2% leicht negativ aus. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist 2022 zum bestimmenden Thema geworden – und mit ihm die kriegsbedingt hohen Energie- und Rohstoffpreise. Die jüngsten Entwicklungen der Energiepreise im Großhandel und der Inflation führten zum Jahreswechsel 2022/2023 aber zu einem Aufhellen der Konjunkturaussichten, sodass inzwischen zunehmend von einer kurzen und milden Rezession ausgegangen werden kann, sofern sie denn überhaupt eintritt. So erwartet die Bundesregierung ein Wachstum des realen BIP von 0,2%.
Der Arbeitsmarkt erweist sich zum Jahreswechsel als robust und wird es voraussichtlich im Jahr 2023 auch bleiben. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg 2022 um 589.000 bzw. um 1,3% im Vorjahresvergleich. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote sank von 3,3% im Vorjahr auf 2,8%. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise lag sie noch bei 3,8%. Die monatliche Betrachtung zeigt eine Eintrübung im Dezember 2022, als sie mit 5,4% höher lag als ein Jahr zuvor (5,1%). Auch dürfte die Fluchtmigration nach bisher moderaten Effekten zu einer vorübergehenden Zunahme führen, wenn die Geflüchteten nach Abschluss der Vorbereitungskurse auf den Arbeitsmarkt drängen. Doch die neuen Möglichkeiten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes werden zudem zur Stabilisierung beitragen.
Die Inflation hat 2022 mit 7,9% (Verbraucherpreisindex, VPI) den höchsten Stand seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1950 erreicht. Sie lag weit höher als die Inflationsrate während der Energiekrise in den 1970er Jahren. Im Oktober 2022 stieg sie sogar auf 10,4%. Hauptursächlich waren Nachholeffekte bei gestörten Produktions- und Lieferketten, sowie (Basis-)Sondereffekte wie die Mehrwertsteuersenkung im Jahr 2020 und die krisenbedingt niedrigen Energiepreise. Letzteres führte aufgrund kriegsbedingt explodierender Importpreise insbesondere für Erdgas zu einem starken Inflationsdruck. Eine rasche Diversifizierung der Gasversorgung, hohe Gasvorräte und ein milder Winter entspannten die Situation, sodass es zu keiner Gasmangellage kommen dürfte. Die Erzeugerpreise ohne Energiekomponente sind bereits aufgrund einer deutlichen Entspannung der Lieferkettenprobleme während der Corona-Pandemie seit Juni 2022 rückläufig, sodass die Inflation in Deutschland in 2023 mit etwa 6,9% (2024: 2,8%) zwar deutlich über dem Zielwert der EZB bleiben dürfte, jedoch keine zweistelligen Raten mehr zu erwarten sind.
Die Finanzierungsbedingungen haben sich verschlechtert. Die EZB ließ den Leitzins in der ersten Jahreshälfte 2022 trotz steigender Inflation bei 0,0% und kaufte bis März bzw. bis Juni im Rahmen des Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) und des Asset Purchase Program (APP) weitere Vermögenswerte an. Erst nach dem zusätzlichen Anstieg der Energiepreise und steigenden Kerninflationsraten hob sie den Hauptrefinanzierungssatz bis Dezember 2022 in vier Zinsschritten auf 2,5% an. Weitere Zinserhöhungen wären nötig, um die Inflation zu bremsen, könnten aber die bevorstehende Rezession im Euroraum verschlimmern.
Die Kreditvergabe an den inländischen Privatsektor hat sich beschleunigt. Sie ist 2022 gegenüber 2021 um 8,3% auf 3.350 Mrd. Euro angewachsen (2021: 3.100 Mrd. Euro). Ein Teil davon entfiel auf KfW-Förderkredite zur Stabilisierung von Energieunternehmen, ein weiterer auf den nichtfinanziellen Unternehmenssektor, der die Kredite hauptsächlich als liquide Betriebsmittel zur Finanzierung von Vorleistungen verwendete. Die Kreditvergabe im Wohnungsbau hat sich trotz restriktiverem Finanzierungsumfeld um 6,6% im dritten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr weiter erhöht. In Antizipation steigender Zinsen könnte dies ein Vorziehen der Immobilienfinanzierung andeuten, zumal sich im vierten Quartal bei Krediten mit langfristiger Zinsbindung schon ein deutlicher Abschwung abzeichnete. Den Haushalten fällt es immer schwerer, kreditfinanzierte Immobilienkäufe zu stemmen, da die Zinssätze und Lebenshaltungskosten gestiegen und die verfügbaren Einkommen gesunken sind.
In der Bauwirtschaft führten Materialengpässe und hohe Preissteigerungen bei Baustoffen, neben der hohen Kapazitätsauslastung und dem Personalmangel, zu unerwarteten Kostensprüngen und zunehmenden Stornierungen im Wohnungsbau. Die Bauinvestitionen, die bislang eine der wichtigsten Säulen der Wirtschaft darstellten, erlebten 2022 einen realen Rückgang um über 1,4%. 2023 könnten sie real um 2,5% sinken. Der bereits im Jahr 2021 schwächere Wohnungsneubau wird zudem durch deutlich gestiegene Finanzierungskosten für kreditfinanzierte Projekte und eine unsichere Einkommensentwicklung ausgebremst. Neben Privatpersonen ziehen sich angesichts einer sich ergebenden Lücke zwischen Kostenmieten und tatsächlichen Mieten auch zunehmend Projektentwickler aus dem Neubau zurück. Mit einem Wohnungsdefizit, das den höchsten Stand seit 20 Jahren erreicht haben dürfte, bestehen aber weiterhin langfristige Perspektiven im Bausektor. Flankierend ist eine kluge Angebotspolitik nötig, unter anderem mit beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren, Baulandausweisung, Nachverdichtung und bundeseinheitlichen Bauvorschriften, die serielles Bauen fördern.
Mehr Informationen
Kontakt