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Future Office: Wissenschaft

Wer vermeiden will, dass Belegschaften uninspiriert im Homeoffice vor sich hinarbeiten oder dass sich im Büro Cliquen bilden, muss unter Zuhilfenahme digitaler Technologie Gastgeber- und Inszenierungskompetenz entwickeln.
„Kognitive Gebäude machen Nutzerströme steuerbar“

Interview mit Dr. Stefan Rief, Leiter Forschungsbereich Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung, Fraunhofer IAO

Welche Megatrends haben maßgeblichen Einfluss darauf, wie wir im Future Office arbeiten?

Auf der Hand liegen hier sicherlich Digitalisierung, Individualisierung und Dekarbonisierung. Die Digitalisierung wirkt dabei in mehrerlei Hinsicht. Zum einen geraten wir aller Voraussicht nach in eine hybride Zusammenarbeit – mit allen denkbaren Mischformen. Zum anderen werden wir uns mit smarten, kognitiven Umgebungen auseinandersetzen müssen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Menschen besser arbeiten können und wann Umgebung positiv auf uns einwirkt. Der dritte Strang ist die Automatisierung von Arbeit – ein Trend, der bereits vor der Pandemie angelegt war. Repetitives fällt weg und es bleiben komplexere und kommunikationsintensivere Aufgaben.

Wie wirkt sich der Trend zur Individualisierung auf Büroimmobilien aus?

Individualisierung meint, dass wir nicht mehr nur kollektiv zur Arbeit kommen oder kollektiv remote arbeiten. Unternehmen müssen auf die individuellen Bedürfnisse eingehen und sie austarieren. Für Büroimmobilien könnte ich mir vorstellen, dass sie Eigenschaften von Betreiberobjekten annehmen, vergleichbar mit Hotels. Der Facility Manager übernimmt zunehmend die Rolle des Gastgebers, Arbeitgeber müssen eine Inszenierungskompetenz entwickeln.

Sie erwähnten kognitive Umgebungen. Was meinen Sie damit?

Wir haben zum ersten Mal die Chance, mithilfe von digitaler Technologie individuelles Nutzerverhalten zu analysieren und zu steuern. Die Optimierung der Arbeitsumgebung mit Blick auf Temperatur, Licht usw. ist ein Aspekt, ein weiterer das Austarieren von Präsenz. Ein Beispiel: Von Dienstag bis Donnerstag ist das Büro üblicherweise stärker frequentiert als an Mon- und Freitagen. Dieser Peak zur Wochenmitte lässt sich durch soziale Buchungssysteme ausgleichen. Die Anwesenheit von Teamkollegen kann als Impuls dienen, ebenfalls das Büro aufzusuchen. Umgekehrt lässt sich der Cliquenbildung entgegenwirken. Kantinen- oder Restaurantgutscheine können den Gang ins Büro incentivieren. Kognitive Gebäude erhöhen also die Motivation sowie Zufriedenheit der Nutzer und machen Nutzerströme steuerbar.

Was bedeutet das strukturell für Büroflächen?

Die Menschen wollen im Büro soziales Miteinander erleben. Reine Offenheit im Sinne des Großraumbüros ist dabei allerdings nicht zielführend. Angesichts des Vormarschs hybrider Formate und des erwartbar steigenden Spracheintrags, man denke an das Diktieren von Mails, bedarf es eines deutlich höheren Anteils an Rückzugsorten. Die Notwendigkeit, in räumlicher, digitaler und menschlicher Hinsicht die perfekte Umgebung darzustellen, wird den Entwicklungs- und Sanierungsdruck auf Flächen deutlich erhöhen.

Welche Rolle spielt das Büro künftig bei der Wahl des Arbeitgebers?

Der Purpose rückt immer mehr in den Fokus. Gerade beobachten wir eine hohe Wechselbereitschaft, weil sich während der Pandemie viele Arbeitnehmer die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns gestellt haben. Die Büroimmobilie ist dabei für all jene essenziell, die ohnehin Freude an der Präsenz haben. Insgesamt wird sich die Nutzung mehr ausdifferenzieren und neben der räumlichen Zusammenarbeit wird jene in Ökosystemen an Bedeutung gewinnen.

Bei der Gestaltung des Future Office kommt dem Workspace Management besondere Bedeutung zu. Um alle Beteiligten zu integrieren und Forschungserkenntnisse zu berücksichtigen, braucht es neue Tools, Skills und Berufsbilder.
„Wir brauchen ein Bewusstsein für die verschiedenen Interessenlagen“

Interview mit Prof. Dr. Katja Ninnemann, Professur Digitalisierung und Workspace Management, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin)

Welche Megatrends haben maßgeblichen Einfluss darauf, wie wir im Future Office arbeiten?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten, denn wir haben es mit verschiedenen Interessenlagen und heterogenen Akteursgruppen zu tun, die sich in unterschiedlichem Maße mit Themen wie Umwelt, Gesundheit, Mobilität, Vielfalt, Digitalisierung und Globalisierung auseinandersetzen. Es wird spannend, die damit einhergehenden Aushandlungsprozesse in Unternehmen, Institutionen und der Gesellschaft zu beobachten. Übrigens scheint mir der Begriff des Future Workspace angesichts der Flexibilisierung von Arbeitszeit, -ort und -platz an dieser Stelle treffender als Future Office, da Arbeitsumgebungen nicht mehr nur im Büro verortet werden können. 

Inwieweit markiert die Pandemie einen Wendepunkt?

Die Pandemie ist vor allem ein Katalysator. Konzeptionell betrachtet ist sie insofern ein Wendepunkt, als dass Arbeitsplatzgestaltung zuvor in erster Linie mit räumlichen Konzepten der analogen Welt konnotiert war. Nun wurde offensichtlich, dass es mehr als das ist und wir eher von Arbeitsplatzorganisation sprechen sollten, die das Management von physischen und virtuellen Handlungsräumen an unterschiedlichen Orten, zu verschiedenen Zeiten und für differenzierte Arbeitsprozesse einschließt. Das macht es ungleich komplexer. Hinzukommt, dass technologische Innovationen, wie wir sie gegenwärtig erleben, immer auch soziale Neuerungen nach sich ziehen. Das bedeutet, dass neue soziale Praktiken, Werte, Bedeutungen oder soziale Normen entstehen und bei räumlichen Entwicklungsprozessen mitgedacht werden müssen.

Gibt es trotz individueller Arbeitsbedürfnisse einen gemeinsamen Nenner?

Der gemeinsame Nenner ist für mich die grundlegende Frage nach der Motivation: Warum arbeiten wir gern – und wie lässt sich das am besten unterstützen? Aus der Forschung wissen wir, dass Motivation auf drei menschlichen Grundbedürfnissen basiert – Autonomie (übersetzt zum Beispiel Arbeitszeit-, Arbeitsort- und Arbeitsplatzflexibilität), Kompetenz (Teilhabe an Entwicklungsprozessen, etwa bei der Arbeitsplatzgestaltung) und soziale Eingebundenheit (Berücksichtigung individueller Präferenzen für Arbeitsformen und -umgebungen). Hier gilt es in der Praxis und in der Forschung, unser Wissen zu erweitern und interdisziplinäre Perspektiven einzubinden, um nachhaltige und zukunftsfähige hybride Arbeitswelten gestalten zu können.

Und wie findet all das den Weg in den Future Workspace?

Die entscheidende Frage wird sein, wie und von wem hybride Arbeitsumgebungen künftig gestaltet werden. Unternehmen werden zunehmend auf eigene Workspace Manager setzen, die Bedarfe in der eigenen Organisation gemeinsam mit dem HR-Management und der IT ermitteln, analysieren und abstimmen und damit als Übersetzer gegenüber Architekten und Projektentwicklern fungieren. Um Bedürfnisse und Anforderungen zu identifizieren, relevante Trends zu monitoren und zu priorisieren sowie Forschung und Best Practices einzubeziehen, bedarf es aber auch neuer Tools und Fähigkeiten. Das Facility Management beispielsweise wandelt sich zusehends hin zur ganzheitlicheren Perspektive des Workspace Managements, welches nicht nur infrastrukturelle, technische und kaufmännische Aspekte betrachtet, sondern den Menschen (wieder) in den Mittelpunkt stellt. Das macht dieses Berufsfeld und die Branche insgesamt vielfältiger, spannender und attraktiver – auch für Nachwuchskräfte.

Eine Wissenschaft für sich: Workspace Management

Innovative Konzepte und Prozesse zur Gestaltung zukunftsfähiger Lern- und Arbeitsumgebungen erfordern neue Ansätze – auch in Lehre und Forschung. Die Professur Digitalisierung und Workspace Management an der HTW Berlin widmet sich diesen Themen: https://wiki.htw-berlin.de/confluence/display/~ninnema/WORKSPACE+MANAGEMENT